Leipzig muss ausfallen wie so viele Kulturveranstaltungen in diesen Tagen der fortschreitenden Corona-Epidemie. Was sonst am Messedonnerstag in einem großen Saal präsentiert wird, gibt es dieses Jahr nur online unter www.jugendliteratur.org – die Verkündung der nominierten Titel für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2020. In allen Kategorien waren im Laufe meiner fast zwanzigjährigen Übersetzertätigkeit schon Titel vertreten, nur nicht im Bilderbuch. Jetzt hat sich das geändert und ich freue mich sehr, dass ausgerechnet das wunderbar poetische Buch
„Das Haus, das ein Zuhause war“ von Julie Fogliano (Text) und Lane Smith (Illustrationen) nominiert wurde. Die amerikanische Autorin Julie Fogliano ist bei Sauerländer bereits mit zwei anderen Bilderbüchern vertreten, die ich auch übersetzt habe. Mein Lieblingsbuch: „Wenn du einen Wal sehen willst“ (mit Illustrationen Erin E. Stead, 2014). Von Altmeister Lane Smith habe ich ebenfalls schon zwei andere Bücher für Sauerländer ins Deutsche übertragen, zum Beispiel den großartigen Band „Die Fährte der Kinder“ (2016), der sich eigentlich gar nicht übersetzen ließ und für die Sauerländer-Ausgabe ganz neu erfunden werden musste.
Gedicht des Monats März
Ein Hut
Ein Hut trat auf die Straße
mit großem Schwung und Mut,
trug einen Mann spazieren
und fand das fein und klug.
Der Hut schickt‘ ihn des Weges,
wie wenn er sein Rekrut,
beguckte sich die Gegend,
als säße er im Zug.
Gedicht des Monats Februar
Das Korn
Das Nashorn
trägt die Nase vorn.
Nicht ungewöhnlich.
Doch auf dem Nashorn-Horn
sitzt vorn ein Korn.
Echt tierisch dämlich.
Trotz Nashorn-Zorn
fällt’s Korn nicht ab da vorn vom Horn.
Der Reim klebt‘s fest persönlich.
Gedicht des Monats Januar
Nachtgesicht
Gegenüber brennt ein Licht.
Wer dort wohnt? Ich weiß es nicht.
Ob er zu mir rüberguckt,
mich entdeckt, zusammenzuckt?
So wie ich, wenn ich ihn sehe,
mich sofort vom Fenster drehe
und die Lampe schalte aus.
Schaut er trotzdem weiter raus?
Oder löscht auch er sein Licht,
malt sich aus mein Nachtgesicht?
Ein Fundus neuer Gedichte für Kinder
„Und jeden Morgen ein Gedicht“ hieß eine Empfehlung an angehende Lehrer, was man denn im Unterricht in der Grundschule mit Kindergedichten anfangen solle. „Lesen Sie zu Beginn jeder Deutschstunde ein Gedicht vor und ich garantiere Ihnen, dass die Kinder spätestens nach dem fünften Mal von sich aus das nächste Gedicht einfordern werden“, so hatte ich 2012 einem Studenten an der Uni Regensburg geantwortet. Nun ist an der Uni Siegen ein Buch als Weihnachtsgabe erschienen, das genau diesen Satz aufgreift und (angehenden) Lehrern neue Gedichte von zwölf heute schreibenden Dichtern vorstellt, um ihnen Material zum Vorlesen an die Hand zu geben. Als ich im Mai an der Siegener Uni war, um Studenten von meiner Arbeit als Lyriker und von der Wirkung der Gedichte auf Kinder zu erzählen. berichtete die Dozentin Jana Mikota, sie stelle immer wieder fest, dass Lehrer nicht wüssten, wo sie neue Gedichte finden sollen. So entstand am Abend nach der Veranstaltung die Idee zu dem Buch, das jetzt gerade erschienen ist und das wir zusammen mit Berbeli Wanning herausgegeben haben. Es enthält je sechs Gedichte der Autor(inn)en Michael Augustin, Michael Hammerschmid, Gerald Jatzek, Jan Koneffke, Susan Kreller, Matthias Kröner, Nils Mohl, Heike Nieder, Arne Rautenberg, Manfred Schlüter, Elisabeth Steinkellner und mir. Außerdem gibt es im Anhang viele Hinweise auf Bücher und Zeitschriften, in denen Gedichte der Autoren erschienen sind. Die Zeichnungen für das Buch hat die neunjährige Anna Brandes gemacht, die wie ich in München lebt.